Die Wiege einer Ikone
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New Orleans, die pulsierende Stadt an den Ufern des Mississippi, war mehr als nur der Geburtsort für Mahalia Jackson, die spätere "Königin des Gospels". Es war die Wiege ihrer musikalischen Seele, ein Schmelztiegel aus spirituellen Klängen, weltlichen Rhythmen und tiefgreifenden Erfahrungen, die ihren einzigartigen Stil prägen sollten. Mahalias Verbundenheit mit New Orleans war eine lebenslange, unauflösliche Beziehung, die sich in ihrer Musik, ihrer Persönlichkeit und letztlich in ihrer letzten Ruhestätte widerspiegelte.
Mahalia Jackson wurde am 26. Oktober 1911 in New Orleans geboren. Ihre Kindheit in der armen, aber lebendigen Water Street im Sechzehnten Bezirk war prägend. In einem undichten Dreizimmer-Schrotflintenhäuschen, das ihrer Tante Mahala "Duke" Paul gehörte, lebten bis zu 13 Familienmitglieder. Diese bescheidenen Verhältnisse inmitten eines rassisch vielfältigen Viertels namens Greenville, oder auch "Niggertown", lehrten Mahalia früh das Leben.
Schon früh erlebte Mahalia die harte Realität der Rassentrennung (Jim Crow). Sie musste getrennte Straßenbahnen nutzen und durfte keine weißen Einrichtungen betreten. Trotz dieser Ungerechtigkeiten entwickelte sie einen tiefen Stolz auf ihre Stadt. Als aufmerksames Kind sog sie die Geschichten und Weisheiten der Älteren in sich auf, was ihre spätere Erzählkunst beeinflussen sollte.
Mahalias musikalische Reise begann tief verwurzelt im Schoß der Kirche. Schon als kleines Mädchen sang sie in den Chören der Mount Moriah Baptist Church und der Plymouth Rock Baptist Church. Ihr Gesang war geprägt vom "singenden Ton", den Schreien und Stöhnen der baptistischen Prediger und der gemeinschaftlichen Energie des Gemeindegesangs – ein Stil, der direkt aus der afroamerikanischen protestantischen Kirche stammte.
Doch New Orleans war eine Stadt, die vor Musik nur so sprühte, und Mahalia konnte sich den weltlichen Klängen nicht entziehen. Ihr Cousin Fred Duskin, "Chafalaye" genannt, führte sie in die Welt des Jazz und Blues ein. Sie hörte Größen wie King Oliver, Louis Armstrong und Bessie Smith. Besonders fasziniert war sie von den Blues-Sängerinnen wie Ma Rainey und Bessie Smith, deren „blue notes" und "Schreie" sie in ihren eigenen Gesang aufnahm. Obwohl sie Angebote erhielt, Jazz oder Blues zu singen, lehnte sie dies aus religiöser Überzeugung ab, da sie im Blues "Verzweiflung" sah, während "Gottes Musik ihr Hoffnung gab."
Trotzdem war ihr Stil untrennbar mit New Orleans verbunden. Sie beschrieb ihn als die Art, wie sie als Kind gehört hatte, vergleichbar mit der Zuneigung, die Iren und Italiener für ihre Volksmusik hegten: "Das bin einfach ich! Es ist ein Teil der New Orleans Leute, die Dinge, die sie tun. Es ist wie das Essen von roten Bohnen und Reis!" Die "Second Line"-Tradition der Trauerkapellen, die von traurigen zu fröhlichen Melodien wechselten, beeinflusste ihre energiegeladene Bühnenpräsenz, ihren "Bounce" und den "heiligen Tanz", bei dem sie über die Bühne lief und dramatisch auf die Knie fiel. Auch ihren charakteristischen New Orleans-Akzent, den sie als "Brogue" bezeichnete, behielt sie ihr Leben lang bei.
Schon im zarten Alter von vier Jahren gab Mahalia ihr Gesangsdebüt in der Mount Moriah Baptist Church. Hier lernte sie den "Bounce" durch das Fußwippen und Händeklatschen beim Gemeindegesang kennen. Die "singenden Töne" – die Schreie, das Stöhnen und die Gesänge der Baptistenprediger – hinterließen ebenfalls einen tiefen Eindruck.
Trotz ihrer baptistischen Zugehörigkeit war Mahalia Jackson zutiefst von der Musik der nahegelegenen Pfingstkirchen berührt. Diese zeichneten sich durch emotionalen Gesang, Schreie, Tanzen und das Spiel von Instrumenten wie Trommeln, Tamburinen und Triangeln aus. Mahalia erkannte, dass Jazz, Rhythm and Blues und Rock and Roll viele ihrer Rhythmen und Melodien aus der Sanctified Church bezogen.
Mahalia war fasziniert von den Second-Line-Prozessionen der New Orleanser Marsch- und Beerdigungskapellen. Der Übergang von traurigen zu fröhlichen Melodien nach der Beerdigung, oft begleitet von "When the Saints Go Marching In" und tanzenden Menschen, prägte ihren musikalischen Horizont. Auch die Musik von Jazzbands, die auf Lastwagen für Tanzveranstaltungen warben, und Künstlern wie King Oliver und Louis Armstrong beeinflusste ihre "rhythmische Phrasierung und Improvisation", auch wenn sie später selbst keinen Jazz sang.
In ihrer Kindheit hörte Mahalia Jackson regelmäßig Musik von Vaudeville-Blues-Sängerinnen wie Bessie Smith, Mamie Smith und Ma Rainey. Sie versuchte, Bessie Smiths Gesang zu imitieren und übernahm deren "schwermütiges Stöhnen" und "klagende Töne" in ihren eigenen Stil.
Der musikalische Klang der schwarzen Gemüsehändler, die ihre Waren mit "traurigen Tönen" anpriesen, und die singenden Eisenbahnarbeiter, die Gleise verlegten, sowie die Züge selbst prägten Mahalias frühe musikalische Eindrücke.
Obwohl Mahalia Jacksons Musik tief in den Traditionen von New Orleans verwurzelt war, gibt es auch klare Belege für ihren Einfluss auf die Stadt, insbesondere durch die Rezeption ihrer frühen Aufnahmen:
Verbreitung von Gospel in säkularen Räumen
Ihre ersten kommerziellen Aufnahmen von 1937, wie "God’s Gonna Separate the Wheat from the Tares" und "Oh My Lord", hatten eine bemerkenswerte Wirkung im tiefen Süden, besonders in ihrem alten New Orleanser Viertel "Pinching Town". Erstmals legten Jukebox-Lieferanten für schwarze Viertel ihre religiösen Platten in Bars auf – ein Novum für Gospelmusik.
Spirituelle und emotionale Wirkung
Das Abspielen ihrer Platten in New Orleans führte zu einer Art "Aufruhr". Ihre Musik hallte durch die Straßen, Menschen versammelten sich, um zuzuhören, und viele waren zutiefst gerührt. Ihre Musik soll sogar dazu geführt haben, dass Menschen an die Kirchentüren klopften, um "gerettet zu werden", und sich taufen lassen wollten. Dieser Einfluss zeigt eine Veränderung in der Akzeptanz und emotionalen Resonanz von Gospelmusik in nicht-kirchlichen Umgebungen in New Orleans.
Heimweh und Heimkehr
Im Alter von 20 Jahren zog Mahalia nach Chicago, um ein besseres Leben zu suchen. Es war ihre erste Reise außerhalb von New Orleans, und ihre neue Heimatstadt schien ihr zunächst fremd. Das Heimweh nach New Orleans, besonders nach ihrer Tante Duke und der Mount Moriah Church, war groß.
Trotz der räumlichen Trennung blieb die emotionale und familiäre Bindung bestehen. Mahalia kehrte für Besuche zurück, kaufte Häuser für ihre Familie in New Orleans und war immer stolz auf ihre Wurzeln, die sie als "Kind von New Orleans" bezeichnete.
Ihr Abschied aus dem Leben führte Mahalia Jackson schließlich zurück nach New Orleans. Im Februar 1972 fand ihr Begräbnis in ihrer Heimatstadt statt. Ihr Sarg wurde in einem imposanten Leichenzug durch die Innenstadt gefahren, vorbei an Zehntausenden von Trauernden, die ihr die letzte Ehre erwiesen. Der Gottesdienst in der Rivergate Convention Hall zog Tausende an, und die traditionellen New Orleanser Marschkapellen spielten Trauerlieder, gefolgt von fröhlicher Swing-Musik auf dem Heimweg – eine würdige "Second Line"-Feier für die Gospel-Königin. Sie wurde im Providence Memorial Park in Metairie, Louisiana, beigesetzt, nur einen Steinwurf von der Water Street entfernt.
Ihre tiefe Verbundenheit mit der Stadt wurde 1993 erneut gewürdigt, als das Mahalia Jackson Theater im Louis Armstrong Park in New Orleans einstimmig zu ihren Ehren umbenannt wurde. Mahalia Jacksons Leben und künstlerische Entwicklung waren zutiefst von ihren Erfahrungen und Begegnungen in ihrer Heimatstadt New Orleans geprägt, und sie wird für immer ein integraler Bestandteil der reichen kulturellen Vielfalt dieser einzigartigen Stadt bleiben.
©Thilo Plaesser